Über die Reitkunst

„Die klassische Reitkunst orientiert sich an der Natur des Pferdes, sie verlangt keine Bewegungsabläufe oder Haltungen, die ein Pferd nicht auch in Freiheit absolvieren würde. Das Pferd soll durch gute und logisch aufgebaute Übungen sein Gleichgewicht finden, so dass es sich zufrieden und selbstbewusst dem Willen des Reiters unterwirft, ohne dass sein natürlicher Bewegungsablauf auf irgendeine Art darunter leidet. Es darf aufgrund der Ausbildung weder psychisch noch physisch Schaden erleiden, sondern das Ziel ist vielmehr ein Pferd, das bis ins hohe Alter gesund und leistungsfähig bleibt. Einweiteres Ziel ist die Minimierung der Reiterhilfen.“

− Anja Beran −
Der 22-jährige Englische Vollblüter zeigt in Freiheit auf dem Paddock Piaffetritte in ausgezeichneter Selbsthaltung.

Seit zwei Jahrtausenden prägen herausragende Meister die klassische Reitkunst, die wichtigsten werden hier kurz vorgestellt:

430-354 v. Chr.

Xenophon (Griechenland)

Quelle: Von Unbekannt. Scan by User: Gabor - Bibliothek des allgemeinen und praktischen Wissens. Bd. 5" (1905), Abriß der Weltliteratur, Seite 46, Gemeinfrei.

Xenophon kann als Begründer der Hippologie, der Lehre vom Pferd und Reiten angesehen werden. Er war der erste, der das Verhältnis von Mensch und Pferd nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten untersucht hat. Xenophon verlangte schon damals einen tiefen ausbalancierten Sitz. Zitat: „Ich billige keinen Sitz, der dem eines Mannes auf einem Stuhl gleichkommt."

1530-1610

S. de la Broue (Frankreich)

Quelle: Von Jean-Yves HAMAR - Eigenes Werk, CC-BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=40823669

Salomon de la Broue, auch eher ein fast vergessener großer französischer Écuyer. Sein großes Ziel war es die Leichtigkeit in der Schulreiterei zu erhalten. Zitat: „Die Leichtigkeit im Maul geht der Leichtigkeit des ganzen Pferdes voraus.“ Er schrieb 1593 das erste wichtige französische Buch über die Reiterei „Le Cavalerice Francois“. De la Broue führte das Nachgeben im Genick und Unterkiefer ein.....er war gegen den zu starken Gebrauch von Sporen....aber wie viele der écuyer seiner Zeit war er von der Grosszügigkeit seines königlichen Gönners abhängig....leider hatte er diesbezüglich wenig Glück und verstarb in völliger Armut.

1555-1620

Antoine Pluvinel (Frankreich)

Quelle: Von Unbekannt - Unbekannt, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5444327

Im Gegensatz zu de la Broue erging es Antoine Pluvinel hinsichtlich sozialer Lebensumstände besser. Wie de la Broue war auch Pluvinel ein Verfechter der humanen Pferdeausbildung. Er wird auch als Erfinder der Pilaren betrachtet, die er als Hilfsmittel ansah, um Temperament, Bewegung ohne Reitergewicht beurteilen zu können und um nicht nur das Genick sondern auch die Hinterhand geschmeidig zu machen. Sein bedeutendes, nach seinem Tode, 1625 in Paris erschienenes Buch „L´Instruction du roy en l´exercise de monter a cheval“ – ein Dialog zwischen ihm und seinem königlichen Schüler – verhalf ihm zu dem Titel „Vater der französischen Reiterei“.

1592-1676

William Cavendish, Duke of Newcastle (England)

Quelle: Von William Larkin - historicalportraits.com, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=8711667

William Cavendish, Duke of Newcastle, kann man heute auch als den meist unterschätzten Reitlehrmeister bezeichnen. Insbesondere in seinem Heimatland ist ihm die Anerkennung, die er verdient hätte, nie zuteil geworden. Oft wurde er unvollständig zitiert und seine Achtung vor dem Pferd völlig ignoriert. ABER Newcastle war ein Écuyer, der Gewalt am Pferd ablehnte und die grausamen Nasenriemen der italienischen Schule und Martingal verabscheute. Guérinière wiederum war es, der die Lehren von Newcastle, aber auch von La Broue in verständlicher Form aufarbeitete. Er schrieb ein großartiges Buch – übrigens eines der Wenigen, das heute noch im Original für entsprchendes Geld zu erhalten ist: „A General System of Horsemanship“.

1687-1751

François Robichon de la Guérinière (Frankreich)

Guérinière und Schulterherein am Hufschlag, das ist wohl vielen bekannt. Das Studium seiner Lehren lässt den Schluss zu, dass er das Schulterherein auf vier Hufschlägen ausgeführt hat. Von der Fédération Equestre International (F.E.I.) wurde nicht der Hufschlag, sondern ein Winkel von ca. 30° festgelegt. Der Großteil der Dressurreiter interpretiert die modernen Regeln jedoch als Übung auf drei Hufschlägen. Übrigens war es Guérinière, der als erster anerkannte, dass es der englische Duke of Newcastle war, der das Schulterherein auf dem Zirkel erfunden hatte. Und Guérinière definierte klar die Bedeutung des äußeren Zügels. Guérinière war es auch, der die Definitionen der Lektionen Pesade, Piaffe und Passage festlegte, die heute noch in dieser Form in der Spanischen Reitschule in Wien gelten.

1713-1789

Dom Pedro de Alcantara e Meneses, IV. Marquies von Marialva (Portugal)

Quelle: Por Manuel Carlos de Andrade - Luz da Liberal e Nobre Arte da Cavallaria (1790), Biblioteca Nacional de Portugal, Domínio público, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=33898549

Dom Pedro de Alcantara e Meneses, IV. Marquies von Marialva, auch als „Guérinière der Iberischen Halbinsel“ bekannt, d.h. auch er entwickelte eine Methode, in der das Positive der Vergangenheit vereint war. Er setzte sich die Leichtigkeit der Bewegung zum Ziel, die ihre Kraft aus der Hinterhand schöpft. Sein bleibender Beitrag zur moderen klassischen Reiterei findet sich in einem zehn-bändigen Werk mit dem Titel „Luz da Liberal e Nobre Arte de Cavallaria“, das von seinem Meisterschüler Manuel Carlos Andrade in wesentlichen Teilen mitbearbeitet wurde. Er gilt als derjenige, der feste Regeln für den Stierkampf zu Pferde (Rejoneo) zu Papier brachte, die heute noch Gültigkeit haben. Marialva hatte die Aufsicht über die Königliche Reitschule zu Belém bei Lissabon und über das Gestüt „Real de Altér“, aus dem die gleichnamige Gestütszucht Altér Real stammt.

1744-1782

Dupaty de Clam (Frankreich)

Dupaty de Clam: Sollten Sie diesen Namen nie gehört haben, ist das sicherlich mehr als verzeihlich. In seinem Hauptwerk „Theorie und Praktik der höheren Reitkunst“ führt er letztendlich Guérinières Schrift weiter, d.h. sie wird wissenschaftlich vertieft, aber auch deutlich praktischer erklärt. Im Prinzip ist dieses Werk eine Steigerung der Guérinièreschen Aussage.

1794-1865

Louis Seeger (Deutschland)

Louis Seeger’s Leitsatz war: „Vergesst nie, dass die Fortbewegung (das Vorwärts) die Seele der Reitkunst ist und der Impuls dazu von der Hinterhand des Pferdes ausgeht“. Seeger war der Lehrer Steinbrechts, in seinem 1844 erschienenen Buch „System der Reitkunst“ deutetete er an, dass die natürliche Schiefe des Pferdes auf seine im Vergleich zu den Hüften schmäleren Schultern zurückzuführen sei. Oberst Podhajsky, Leiter der Spanischen Reitschule in Wien, stimmte später dieser Theorie zu. Allerdings prägte Seeger auch den Ausspruch Baucher sei „der Totengräber der französischen Reiterei“, der natürlich nicht haltbar und ein Beispiel für die missverstandene Lehre Bauchers ist.

1796-1873

Francois Baucher (Frankreich)

Francois Baucher war wie Xenophon, Newcastle und Guérinière ein Verfechter des tiefen klassischen Sitzes und der leichten Hand. Er erkannte die Bedeutung des Nachgebens, des „Descente de Main“ und führte die fliegenden Wechsel von Sprung zu Sprung, die Wechsel „à tempo“ ein. Baucher war es, der schrieb „Der Schritt ist die Mutter aller Gangarten“ und „Das Maul des Pferdes ist der Barometer seines Körpers“. Bekannt geworden ist er auch durch die Biegungen des Kopfes und des Halses an der Hand, um den Widerstand zu beseitigen, der das Pferd daran hindert, sich zu versammeln (ramener). Mit diesen Übungen ist Baucher auch in Kritik geraden, allerdings deshalb, weil viele Reiterkollegen mit Gewalt versuchten diese Übungen nachzuvollziehen und damit natürlicherweise das Gegenteil erreichten. Bauchers Passagen, Piaffen und Levaden waren exzeptionell, er stellte in vielerlei Hinsicht eine Verbindung zwischen der klassischen Reiterei und zirzensischer Unterhaltung her. Baucher schrieb 1833 sein erstes Buch „Dictionnaire raisonné d`equitation“ und 1842 sein zweites „Methode d`equitation basée sur de nouveaux principes“. Leider konnte er seine Gedanken nicht gut formulieren und so gelang es ihm nicht, seinen einzigartigen Erfahrungsschatz seinen Lesern zu vermitteln. Die Folge dessen war leider oft eine Missinterpretation seiner Werke.

1798-1865

Ernst Friedrich Seidler (Deutschland)

E.F. Seidler hat sich, im Gegensatz zu Seeger, sehr fair mit Bauchers Veröffentlichungen auseinandergesetzt und Gleichheiten, sowie Ähnlichkeiten zu dem in Deutschland angewandten Reitsystem herausgearbeitet. Einen großen Teil der baucheristischen Methoden und Lektionen lehnt Seidler jedoch ab. Als Leiter der Militärschule von Schwedt gab er 1837 den „Leitfaden zur gymnastischen Bearbeitung des Campagne- und Gebrauspferdes“ und 1846 das Buch „Die Dressur diffiziler Pferde“ heraus.

1808-1885

Gustav Steinbrecht (Deutschland)

So wie Pluvinel als „Vater der französischen Reitlehre" bezeichnet wird, ist Gustav Steinbrecht als der „Vater der deutschen Reitlehre“ anzusehen. Ein klassischer Meister der alten deutschen Schule, sein Credo, das Oberst Podhajsky zum Leitmotiv der Spanischen Reitschule in Wien machte: „Reite dein Pferd vorwärts und richte es gerade“ gilt heute noch. Sein 1884 erstmalig erschienenes Buch „Das Gymnasium des Pferdes“ ist zum Standardwerk des klassischen Reiters in Deutschland geworden. Steinbrecht war der Beste unter den drei „S“ (Seeger, Seidler, Steinbrecht). Den Einsatz der Sporen sah er nur als einen kurzen (!) Stich zur akkuraten Ausführung einer bestimmten Bewegung und nicht wie heute so oft zu beobachten, als permanenten Einsatz an. Steinbrecht hatte ein ungeheures Verständnis für Bewegungsabläufe und Zusammenspiel der Muskeln, deutlich wird das in der Äußerung: „Beides, Hergabe des Genicks und Biegsammachen der Hinterhand, geht also Hand in Hand“ oder in der Bemerkung zum Kontergalopp: „... dass wir hierein ein höchst nachdrückliches Mittel besitzen, das Pferd in sich zusammenzuziehen.“ Für Steinbrecht durfte Leichtigkeit niemals zu Lasten von Geraderichtung oder Schwung gehen. Nicht zu vergessen ist, dass sich Steinbrecht – wie auch Baucher und Fillis – mit der Zirkusreiterei beschäftigte.

1834-1913

James Fillis (England)

Quelle: By Henry L. de Bussigny - Internet Archive, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=7310633

James Fillis war, ähnlich wie Newcastle, ein fast vergessenes bzw. kaum erkanntes Genie seiner Zeit und ein Nachfolger Bauchers in der Hinsicht, als sich Fillis wie Baucher in erster Linie für Schulreiterei und für öffentliche zirzensische Vorführungen interessierte. Ausgebildet wurde Fillis u.a. von einem Schüler Bauchers, von Francois Caron. Fillis war ein strenger Vertreter der klassischen Prinzipien der Versammlung und Leichtigkeit. Fillis war es auch, der die von Baucher begonnene Arbeit verbesserte und perfektionierte. Kein Autor vor ihm erklärte den Begriff Versammlung (Rassembler) so klar. Außerdem bekräftigte er, dass das Treiben und Ruhighalten der Beine genauso sorgfältig wie das Annehmen und Nachgeben der Hände ausgeführt werden müsse (Descente de Jambes). In seinen Zirkusvorstellungen ist er mit dem Rückwärtsgaloppieren und dem Galopp auf der Stelle berühmt geworden. Aber insbesondere in Deutschland schadeten diese Übungen dem Image dieses Genies sehr. Wie viele seiner Reiterkollegen, war auch Fillis ein „Workaholic“, er soll 16-17 Pferde pro Tag geritten haben. 1898 wurde er zum Oberst der Kavallerieschule in St. Petersburg ernannt, sein 1890 in Paris erschienenes Buch „Breaking and riding“ war damals wie heute ein angesehenes Nachschlagewerk. Auch die Tatsache, dass dieses Buch anonym von Georges Clemenceau, wahrscheinlich in enger Zusammenarbeit mit Fillis geschrieben wurde, tut diesem Werk keinen Abbruch.

1923-2004

Egon v. Neindorff (Deutschland)

Quelle: OLMS Verlag, Die Reitkunst im Spiegel ihrer Meister, Band 1, Berthold Schirg, 1987

Egon von Neindorff gründete nach dem zweiten Weltkrieg in Karlsruhe das Egon von Neindorff-Institut, wo er in der historischen Reithalle bis zu seinem Tod im Jahr 2004 Pferde und Reiter nach den Grundsätzen der Klassischen Reitkunst ausbildete. Als Schüler von so namhaften Reitern wie Felix Bürkner, Otto Lörke und Alois Podhajski, legte er großen Wert auf feinste Hilfengebung und ein aufmerksames Pferd, das sich in Selbsthaltung trägt. Egon von Neindorff förderte unzählige Pferde bis zur Hohen Schule und setzte sich durch die Ausbildung von talentierten Nachwuchsreitern aus dem In- und Ausland für den Erhalt der Klassischen Reitkunst ein. Dabei stand der respektvolle Umgang mit dem Vierbeiner für den Pferdemenschen von Neindorff immer im Zentrum seiner Arbeit, wie folgender Lehrsatz deutlich macht: "Wenn dein Pferd einen Fehler macht, so suche die Ursache bei dir. Und solltest du sie nicht finden, dann suche gründlicher." Für Egon von Neindorff galten Pferde bis zu einem Alter von sechs Jahren als Jungpferde, weshalb er sich vom modernen Dressursport abwandte, obwohl er es war, der nach dem Krieg die Turnierszene wiederbelebte. Von Neindorff verwies auch auf die Bedeutung des Charakters, der den wahren Reiter ausmacht. Tugenden wie Bescheidenheit, Fleiß, Disziplin und Verantwortung hat er seinen Schülern stets vorgelebt und erlangte als letzter großer deutscher Reitmeister internationale Anerkennung.

1925-1989

Nuno Oliveira (Portugal)

Nuno Oliveira ist der meistverehrte klassische Reiter unserer Zeit. Er erhielt seine Ausbildung von Mestre Joaquin Gonzales de Miranda, der im Dienst der letzten portugiesischen Königsfamilie stand und die Ideale Marialvas an seine Schüler weitergab. Miranda war es, der Oliveira lehrte, dass die Reiterei eine Kunst ist und dass sie die Sinne des Reiters auch für alle anderen Dinge des Lebens schärfte. Für Oliveira war die Reiterei eine ständige Suche nach Schönheit, Geradlinigkeit und Wahrheit. All sein Wissen und all seine Hoffnungen legte er in seine Bücher, die heute auch in deutscher Sprache erhältlich sind. Nuno Oliveira hatte die Gabe die Sprache der Alten Meister in eine verständliche, moderne Sprache dem Leser nahe zu bringen. Bemerkenswert sind seine so einfachen und kurzen wie aussagekräftigen Sätze. Oliveiras Sitz war beeindruckend und ein lebender Beweis dafür, dass es den oft unverständlichen Begriff „Kreuz“ doch gibt. Seine Eleganz und Leichtigkeit sind legendär! Sein Genie lag vor allem in der Gabe, völlig unausgebildete Pferde in kurzer Zeit versammeln und ins Gleichgewicht bringen zu können. Ähnliches vollbrachte er mit dem Ausbilden von Piaffe und Passage etc. Er schliesst gewissermassen den Kreis der „Workaholic“ Reitmeister. 15 Pferde pro Tag zu arbeiten waren keine Seltenheit. Von ihm wurde der Satz: „Kunst ist kein Wettkampf; Kunst ist Liebe...“ geprägt. Col. Taton, der Altmeister von Saumur, bezeichnetet ihn als einen „.... echten Meister der alten Versailler Schule“.

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